Freie Universität Berlin: Diskreter Umgang mit Plagiaten - Wissen

Freie Universität Berlin: Diskreter Umgang mit Plagiaten – Wissen

Wie geht die Freie Universität mit wissenschaftlichem Fehlverhalten um? Auch die Affäre um die Doktorarbeit der SPD-Politikerin Franziska Giffey wurde zum Fiasko der Universität. Nachdem sie in einer ersten Plagiatsuntersuchung nur eine Beschwerde eingereicht hatte, eröffnete sie kürzlich das Verfahren erneut – da nicht sicher war, ob eine Beschwerde in diesem Fall überhaupt zulässig ist.

Während dieser Fall in der Öffentlichkeit bekannt war, beendete die FU nach Recherchen des Tagesspiegels einen weiteren mit einem Pferdehandel. Dies wirft erneut die Frage auf, ob die FU solche Fälle angemessen und transparent behandelt.

Hier geht es nicht um einen Politiker, sondern um einen Professor, der mehrfach ausgezeichnet wurde und seit langem mit der Universität geschmückt ist. Vor einigen Jahren erhielt Gernot Melzer (Name von der Redaktion geändert) einen renommierten Preis von der Physikalischen Gesellschaft in Berlin. Laut einer Ankündigung der FU gehörte der Physiker einst zur „Gruppe vielversprechender junger Wissenschaftler in Berlin“. Der Physiker spielte auch eine Schlüsselrolle in einem Labor, das die FU und das Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) gemeinsam eröffneten.

Der Verdacht wurde auf einer Website veröffentlicht, um die Ergebnisse zu diskutieren

Entsprechende Berichte finden Sie noch heute, wenn Sie im Internet nach dem Forscher suchen. Die wissenschaftliche Bewertung von Melzers Arbeit, die vom Europäischen Forschungsrat für seine Forschung ebenfalls ein Startstipendium in Höhe von 1,5 Millionen Euro und von der Helmholtz-Vereinigung eine Viertelmillion erhalten hat, hat sich erheblich geändert.

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Vor rund vier Jahren erhielt die Forschungsdiskussionswebsite „Pubpeer“ einen Artikel, wonach es „erhebliche Probleme“ mit Daten in einem Artikel gab, den der Physiker und seine Kollegen in einer angesehenen Fachzeitschrift veröffentlichten. Einige der Daten wurden offenbar erfunden und kopiert. Unabhängig davon, ob dies letztendlich für die Interpretation der Ergebnisse relevant ist, würde dies „den Kern der wissenschaftlichen Ethik verletzen“.

Der niederländische Chemiker Frank de Groot von der Universität Utrecht hatte den Artikel bereits 2012 kritisiert – ebenso wie andere Kollegen. Nach seiner Interpretation zeigten die Daten aus Melzers Veröffentlichung meist experimentelle Probleme und keinen neuen, interessanten Mechanismus, sagt de Groot gegenüber dem Tagesspiegel.

Ursprünglich sollte er Mitautor des Artikels sein, aber später wurde er von der Autorenliste gestrichen – wahrscheinlich, weil seine Interpretation der Ergebnisse anders war. Die Manipulation der Daten war eindeutig beabsichtigt, sagt de Groot. Am Ende war es jedoch nicht entscheidend für die Interpretation.

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Der Lagerring BESSY II im Adlershof gehört ebenfalls zum Helmholtz-Zentrum Berlin.Foto: Promo

Nachdem das HZB von den Unregelmäßigkeiten erfahren hatte, setzte es eine Untersuchungskommission ein, die laut einer Sprecherin von einem hoch angesehenen externen Wissenschaftler geleitet wurde. Folgemessungen wurden eingeleitet, wonach die angeblichen Ergebnisse nicht bestätigt werden konnten. Der Artikel wurde zurückgezogen.

Im Rahmen dieser und anderer interner Untersuchungen überprüfte das HZB interne Berichte und andere Veröffentlichungen, an denen der FU-Physiker als korrespondierender Autor beteiligt war, „und bei dieser wissenschaftlichen Arbeit wurden weitere Ungenauigkeiten festgestellt“, erklärt die Sprecherin.

Pflichtkurse zur guten wissenschaftlichen Praxis

Insgesamt zwei Veröffentlichungen wurden inzwischen zurückgezogen, eine weitere teilweise, und eine wurde verwarnt. Die Kontrollmechanismen seien in Kraft getreten, erklärt das HZB. Es wurden Anträge auf Berichtigung oder Rücknahme von Veröffentlichungen gestellt, Geber und Kooperationspartner wurden informiert und arbeitsrechtliche Konsequenzen wurden eingeleitet.

Melzer verließ das HZB im Jahr 2018. Seit 2019 ist es auch für alle Doktoranden des HZB obligatorisch, einen Kurs über „gute wissenschaftliche Praxis“ zu besuchen, schreibt die Sprecherin.

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Wie hat sich die FU verhalten? Die Universität habe im Januar 2017 von den Vorwürfen erfahren, erklärt ein Sprecher. Im Juni 2017 stellte eine Untersuchungskommission in diesem Artikel sowie in einer anderen Veröffentlichung in einem ebenso angesehenen Fachmagazin wissenschaftliches Fehlverhalten fest.

„Als Grund für den Rückzug wurden Datenmanipulationen und damit wissenschaftliches Fehlverhalten zugelassen“, erklärt die FU. Der Physiker wurde dann von der Überwachung der Abschlussarbeiten befreit, und für seine Mitarbeiter wurden alternative Überwachungsbeziehungen geschaffen.

Es folgten Disziplinarverfahren, die nun beendet sind – „wegen angeblicher Fehler in wissenschaftlichen Veröffentlichungen“, erklärte Melzers Anwalt. Die Vorwürfe seien „im Wesentlichen nicht bestätigt“ worden, sagte er. Aus Datenschutzgründen wollte die FU hierzu keine Angaben machen.

Textübernahme in Übersichtskapiteln der Dissertation

Aber die Probleme hörten hier nicht auf. Im September 2017 entstand der Verdacht, dass der Physikprofessor seine mit der höchsten Note bewertete Dissertation plagiiert hatte: Sie enthält mehrere Artikel, die in Fachzeitschriften veröffentlicht wurden – in denen kein Fehlverhalten festgestellt wurde – sowie zusätzliche Übersichtskapitel, in denen die Bewertung unzureichend war Textkopien wurden gefunden.

Ein FU-Ausschuss bestätigte später den Verdacht des Plagiats, „so dass das Präsidium der Freien Universität auf der Grundlage dieser Einschätzung im Januar 2019 die Promotion zurückzog“, erklärt der Sprecher.

Aber Melzer verklagte das Berliner Verwaltungsgericht. Sein Anwalt argumentierte, dass die Arbeit – die einleitenden Kapitel wurden ignoriert – die inhaltlichen Anforderungen einer bemerkenswerten akademischen Leistung vollständig erfüllte. Ein Betreuer der Arbeit argumentierte auch, dass man mit der Einführung „das Rad nicht neu erfinden“ könne – er täuschte sich nicht. Ein Rezensent betrachtete fehlende Zitate als unachtsamen Fehler, ein anderer hätte die Arbeit nicht akzeptiert, wenn er die Vorwürfe gekannt hätte.

Der Widerruf des Titels durch die Freie Universität hielt nicht vor Gericht an, sondern wurde auch nicht angefochten.Foto: imago / STPP

Laut einem Gerichtssprecher erklärte die zuständige Kammer den am Prozess Beteiligten, dass „im Hinblick auf die unbestrittene Bedeutung entscheidender Teile der Arbeit Zweifel an der Einschätzung der Universität bestehen, dass die Arbeit qualitativ von der Täuschung geprägt ist“.

Wie in anderen Plagiatsfällen ist unklar, ob die Arbeit noch für die Anerkennung der Promotion ausreicht. „Die anstößigen Positionen prägen die Arbeit weder quantitativ noch qualitativ oder im Gesamtbild“, erklärt der Anwalt des Physikers. „Die wissenschaftliche Leistung ist unbestritten.“

Die FU und der Physiker schließen einen Vergleich

Vor Gericht gab es einen Pferdehandel: FU und Melzer erzielten eine Einigung, „die vorsah, dass die Universität die Kündigungserklärung widerrufen würde, wenn der Kläger seine akademische Laufbahn an der Universität beenden würde“, erklärt der Gerichtssprecher. Melzer durfte seinen Titel behalten, wenn er nicht mehr an der FU arbeitet.

Die Universität erklärt, dass er sich verpflichtet hat, aus dem öffentlichen Dienst auszutreten. Von März 2018 bis zu seiner Abreise am 1. November 2020 war er ohnehin nicht mehr an der FU aktiv. Das Verfahren zum Widerruf der Promotion habe seinen Ruf erheblich geschädigt, erklärt der Anwalt des Physikers – auch aufgrund anonymer Briefe an den FU-Präsidenten musste dieser anerkennen, „dass er trotz seiner hervorragenden Leistungen“ verbrannt „wurde im wissenschaftlichen Bereich „.

Deshalb habe er „vor drei Jahren beschlossen, woanders zu arbeiten“ – inzwischen hat er seine Entlassung aus dem öffentlichen Dienst beantragt.

„Keine Grundlage für eine Promotion an einer Universität“

Die Physikerin Stephanie Reich, bis 2019 Physikdekanin an der FU, kann nicht verstehen, dass die Universität nach der eindeutigen Empfehlung der Untersuchungskommission, den Titel zu widerrufen, vor Gericht zurückgetreten ist. Reich kritisiert, dass es sich nicht um Kompromisse handelt: „Diese Dissertation darf nicht die Grundlage für eine Promotion an einer Universität sein.“

Ihrer Meinung nach ist das Plagiat zu ernst. Ohne die Kapitel mit dem kopierten Text „gibt es keine Arbeit mehr“, sagt sie, nur „einen Stapel Artikel“, die bereits veröffentlicht wurden.

Ihrer Meinung nach hätte der Prozess nicht verloren gehen können. „Wenn ja, hätte die Universität überarbeitet werden sollen.“ Darüber hinaus hat die Universität nicht transparent gehandelt. „Die wissenschaftliche Öffentlichkeit wurde nicht informiert – abgesehen vom Rückzug der wissenschaftlichen Arbeit“, sagt Reich.

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Anfang 2018 beschloss die Physikalische Gesellschaft zu Berlin, den Wissenschaftlerpreis zu widerrufen. Dies wird jedoch nur durch einen versteckten Hinweis auf der Homepage angezeigt. Die FU hat ihre Pressemitteilung für die Preisverleihung noch nicht angepasst. Der Physiker hingegen kann sich weiterhin mit anderen Auszeichnungen schmücken.

Nicht über Plagiate informiert

Ein Beispiel: Die Humboldt-Universität verlieh ihm zusammen mit anderen Preisträgern den „Adlershof-Dissertationspreis“ für seine Promotion. „Wir waren uns der von Ihnen beschriebenen Vorwürfe nicht bewusst“, erklärt ein Sprecher der HU.

Selbst die Freunde des Helmholtz-Zentrums in Berlin haben laut Vorsitzendem Mathias Richter nur von den zurückgezogenen Artikeln gehört, nicht aber vom Plagiat in der Dissertation – für die Melzer auch einen Preis vom Verein erhielt.

„Leider hat er überhaupt keine verlässlichen Informationen“ über die Prozesse an der FU und vor Gericht, erklärt Richter. Wenn die Freie Universität Berlin die Promotion zurückziehen würde, gäbe es im Vorstand einen Konsens darüber, dass Melzer auch die Auszeichnung zurückziehen und diese öffentlich machen würde, sagt er. Aufgrund des Vergleichs konnte ein Rückzug der Promotion offenbar nur in einer weiteren Untersuchung erfolgen, wie die FU nach viel Kritik im Fall Giffey eingeleitet hatte.

Gernot Melzer und sein Anwalt wollten keine weiteren Fragen beantworten. Melzer „musste bitter erkennen, dass einzelne Wissenschaftler falsche Behauptungen über ihn aufstellten und möglicherweise auch Journalisten verwendeten, um sie zu verwenden“, erklärte sein Anwalt – ohne diese Anschuldigungen genauer zu spezifizieren. Melzer nimmt heute eine führende Position im privaten Sektor ein.

Der Europäische Forschungsrat (ERC) befasst sich noch immer mit dem Fall: Neben vielen anderen Artikeln verwies Melzer auch auf zwei Veröffentlichungen, die inzwischen zurückgezogen wurden, erklärt eine ERC-Sprecherin. „Der Fall wird gemäß unseren internen Verfahren geprüft.“ Der ERC kann bis zu fünf Jahre nach Projektende Zahlungen oder Sanktionen verlangen.

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