Versickerung: Ein physikalisches Phänomen erklärt, wie Corona außer Kontrolle gerät

Versickerung: Ein physikalisches Phänomen erklärt, wie Corona außer Kontrolle gerät

In Frankreich und Spanien nimmt die Zahl der Coronavirus-Fälle rapide zu. In Deutschland hingegen scheinen sie auf einem etwas höheren Niveau zu stagnieren. Das könnte sich nach einem Modell aus der Physik plötzlich ändern.

Anfang August meldeten die deutschen Gesundheitsbehörden an einem Tag mehr als 1.000 neue Coronavirus-Infektionen. In den vorangegangenen Wochen lagen die Zahlen in der Mitte von drei Zahlen. Es gab ernsthafte Bedenken hinsichtlich des Beginns einer möglichen zweiten Welle. Aber es tat: anfangs kaum etwas. Die Zahl der Neuinfektionen nahm weiter leicht zu, scheint jedoch seitdem bei rund 1.500 Fällen pro Tag zu stagnieren und danach leicht abzunehmen. Die Frage ist: wie lange noch?

Ein Blick auf Nachbarländer wie Frankreich und Spanien gibt eine Vorstellung davon, was möglicherweise auch in diesem Land passieren könnte: Die Situation dort nach den Sperren im Frühjahr war vergleichbar mit der in Deutschland. Lange Zeit zählten die Behörden Hunderte von Neuinfektionen pro Tag – das Virus schien unter Kontrolle zu sein. Jetzt steigen die Zahlen wieder rasant an. Frankreich hat kürzlich mehr als 8.000 Neuinfektionen pro Tag gemeldet. Die Behörden sprachen von exponentiellem Wachstum und erklärten mehrere französische Abteilungen zu „Zone Rouge“, dh roten Zonen, in denen sich das Virus aktiv verbreitet.

Auch in Spanien ist die Zahl der Fälle seit Wochen gestiegen. Das Land mit rund 47 Millionen Einwohnern meldete zuletzt innerhalb eines Tages mehr als 4.500 Neuinfektionen. Das Virus ist in der Region Madrid besonders verbreitet. Isabel Díaz Ayuso, Präsidentin der Region, beschrieb die Situation vor einigen Tagen mit beeindruckenden Worten: „Menschen infizieren sich, Kinder infizieren sich, alle infizieren sich und die Schule hat noch nicht begonnen.“ Bereits Mitte August erklärte die Bundesregierung das spanische Festland und die Balearen zu Risikogebieten. Wenig später folgten die Kanarischen Inseln.

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Sobald der Schwellenwert überschritten wurde, kann er nicht mehr gestoppt werden

Warum scheint das Virus in den Nachbarländern außer Kontrolle zu geraten, während die Zahl der Fälle in diesem Land derzeit stagniert? Das physikalische Modell der Perkolation bietet eine mögliche Erklärung. Das Wort leitet sich vom lateinischen „percolare“ ab und bedeutet so etwas wie „percolate“. Epidemiologen verwenden es beispielsweise auch, um einen Infektionsprozess in einer Population zu untersuchen.

Das Modell basiert im Wesentlichen auf der Idee eines Schwellenwerts, ab dem beispielsweise eine Infektion außer Kontrolle geraten kann. Der Berliner Virologe Christian Drosten hat das Modell kürzlich mit einem Kaffeefilter erklärt: Stellen Sie sich vor, Kaffeepulver in einem Filter wird ständig mit einzelnen Wassertropfen angefeuchtet. Die ersten Tropfen sickern in das Pulver ein, füllen die Hohlräume und befeuchten das Pulver. Aber zuerst tropft kein Kaffee nach unten. Erst nach einiger Zeit findet das ständig tropfende Wasser seinen Weg durch die Hohlräume im Pulver – bis schließlich eine Verbindung zustande kommt. Von diesem Punkt an fällt man für jeden Tropfen, der oben auf den Kaffeesatz gegeben wird, auf den Boden der Kanne. Eine Schwelle wurde überschritten – sie kann nicht gestoppt werden.

Epidemiologen wissen jetzt, dass sich das Coronavirus hauptsächlich in Clustersituationen verbreitet. Ein Cluster kann eine Klassengemeinschaft, eine Wohnheimfreigabe oder ein Community College-Kurs sein. Wenn diese Situationen schnell erkannt werden und die Mitglieder des Clusters unter Quarantäne gestellt werden, bevor andere Personen außerhalb des Clusters infiziert werden, kann sich das Virus nur in begrenztem Umfang verbreiten. Gleiches gilt, wenn die Mitglieder eines Clusters weitgehend zusammenbleiben. Der Infektionsprozess kann aufflammen und abnehmen, bleibt jedoch eher moderat und lokal auf Cluster beschränkt.

Wenn sich die Situation jetzt ändert, beispielsweise weil sich Menschen in größeren Clustern wieder treffen oder intensiver reisen und die Dinge durcheinander bringen, kann der Virus leichter von Cluster zu Cluster springen. Ein Effekt wäre nicht sofort spürbar. Aber irgendwann entstehen Verbindungen zwischen den Clustern, und ab einem bestimmten Punkt gerät der Infektionsprozess plötzlich außer Kontrolle. Infektionen würden dann an vielen Stellen auftreten und die Anzahl der Fälle würde schnell und stark zunehmen. In Bezug auf den Kaffeefilter wäre dies der Moment, in dem der Kaffeesatz durchlässig wird.

„Dieser Schwelleneffekt ist sicherlich vorhanden. Wir sollten unsere Augen nicht davor verschließen“, erklärte Christian Drosten kürzlich im Podcast „The Coronavirus Update“. Dieser Effekt ist wahrscheinlich auch der Grund, warum die Welle in Deutschland derzeit steigt und fällt. Irgendwann können die Dinge jedoch außer Kontrolle geraten. „Und wir wissen nicht wann“, sagte Drosten. Er hat das Gefühl, dass dies gerade in Frankreich geschieht.

Ein Gefühl der Sicherheit kann täuschen

Er glaubt nicht, dass jemand in Frankreich etwas falsch gemacht hat. „Ein guter Grund ist wahrscheinlich, dass es in Frankreich während der ersten Welle nur viel mehr Infektionsaktivitäten gab. Die französische Sperrung war aggressiver als unsere, aber im Hintergrund kann es zu mehr Infektionen kommen als bei uns“, sagte der Virologe.

Deutschland wurde früher gesperrt, weil die erste Welle im Labor entdeckt wurde, nicht nur auf der Intensivstation, sagt Drosten. Seine Einschätzung: „Deutschland profitiert noch heute davon.“

Gleichzeitig warnte er davor, sich in ein falsches Sicherheitsgefühl wiegen zu lassen. „Ich hoffe, wie alle anderen in der Öffentlichkeit, dass dies in Deutschland nicht passiert“, sagte Drosten. „Aber ich möchte nur sagen, dass es eine Möglichkeit gibt, dass wir uns selbst veräppeln, wenn wir sagen: ‚Das läuft jetzt wirklich gut, lass uns einfach weitermachen.‘ “

Anschwellen:NDR – Coronavirus-Update /. Twitter

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