Atomausstieg?  Warum es in Zukunft ohne Atomkraft nicht funktionieren wird

Atomausstieg? Warum es in Zukunft ohne Atomkraft nicht funktionieren wird

Wenn Sie Anna Veronika Wendland (54) nach Atomkraft fragen, hören Sie zwei Geschichten. Der erste betrifft ihren Kampf gegen die Technologie. Kurz nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im April 1986 schloss sie sich der Anti-Atom-Bewegung an. Wendland demonstrierte, blockierte wie viele andere – und wurde sogar von Polizisten genommen. Sie wurde zweimal wegen Zwangs verurteilt.

Atomausstieg als „deutsche klimapolitische Lüge“

Wendlands zweite Geschichte spielt heute – aber diesmal spielt sie eine andere Rolle: Der Anti-Atom-Aktivist ist jetzt ein leidenschaftlicher Befürworter der Kernenergie. Als Doktor der Technologiehistorikerin betont sie die Vorteile kontroverser Technologie. Und nennt den Atomausstieg eine „Lebenslüge der deutschen Klimapolitik“.

Aussagen wie die von Wendland sind jetzt häufiger zu hören. Neun Jahre nach der endgültigen Entscheidung zum Ausstieg aus der Kernenergie und mehr als ein Jahr nach der Vereinbarung zum Ausstieg aus der Kohle beginnt in diesem Land langsam eine Diskussion darüber, ob die Kernenergie Teil des künftigen Energiemix bleiben soll.

Die Diskussion wird von Wissenschaftlern, Politikern und Managern geführt. Sie alle teilen das Argument, dass die Kernenergie ein zuverlässiger und – im Gegensatz zu Kohle – emissionsfreier Energieversorger ist. „Wenn wir den Klimaschutz wirklich ernst nehmen, sollten wir auf der Grundlage von Fakten handeln und eine Technologie aus ideologischen Gründen nicht von vornherein ausschließen“, sagt beispielsweise der frühere BASF-Chef Jürgen Hambrecht.

12 Prozent unseres Stroms stammen aus Kernkraftwerken

In Deutschland sind sechs weitere Reaktoren an das Netz angeschlossen. Sie tragen fast zwölf Prozent zum Stromnetz bei. Der Anteil der Kohle ist mit 22,3 Prozent fast doppelt so hoch. Das hat Konsequenzen: Jeder deutsche Staatsbürger bläst elf Tonnen CO2 pro Kopf in die Atmosphäre. Nur fünf EU-Länder haben noch höhere Werte. Im benachbarten Frankreich, das mehr als zwei Drittel seiner Energieversorgung mit Kernenergie abdeckt, sind dies nur sieben Tonnen CO2 pro Kopf.

Theoretisch könnte Deutschland seinen Strombedarf vollständig mit Energie aus Sonne, Wind und Biomasse decken. Die Nachfrage an normalen Tagen liegt bei 60 Gigawatt. Wenn es im Winter sehr kalt ist, können es mehr als 80 Gigawatt sein. Die installierte Leistung von Windkraftanlagen und Solaranlagen beträgt mehr als 100 Gigawatt.

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Aber die Sonne scheint nur zu bestimmten Tageszeiten, sie bläst nicht immer – und es fehlen Speichermöglichkeiten, um überschüssige grüne Energie für Tage mit wenig Sonne oder Wind zu speichern.

Eines Tages sollte die „Power-to-Gas“ -Methode dieses Problem lösen. Wasserstoff wird mit emissionsfreiem Strom erzeugt und gespeichert. Es kann dann später in Strom umgewandelt werden, wenn es ruhig und dunkel ist. Experten sind jedoch skeptisch, dass die derzeit getestete exorbitant teure Technologie bis zum Ende der Energiewende Ende der 1930er Jahre verfügbar sein wird.

Top-Ökonom Sinn: Ohne Kernenergie geht es nicht

Darüber hinaus wird der Energiebedarf weiter steigen. Zum Beispiel würde nach Berechnungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft die vollständige Umstellung auf E-Autos den Strombedarf bundesweit um 20 Prozent erhöhen. Laut dem ehemaligen BASF-Manager Hambrecht wird die chemische Industrie ihren Energiebedarf im Jahr 2050 sogar um den Faktor vier bis zehn erhöhen.

Ohne Atomkraft geht es also nicht, sagt der angesehene Ökonom Hans-Werner Sinn: „Man kann nicht gleichzeitig aus Kohle und Atomkraft herauskommen und dann den Stromverbrauch durch die Umstellung auf Elektroautos drastisch erhöhen.“ Zumal die Produktionskosten eins sind. Eine Rolle spielen. Deutsche Reaktoren produzieren derzeit eine Kilowattstunde für etwa fünf Cent. Energie aus Wind und Sonne kostet bis zu 14 Cent.

Inzwischen haben Wissenschaftler und Ingenieure auf der ganzen Welt in den letzten Jahren Fortschritte bei der Entwicklung neuer Reaktoren erzielt. Ein Netzwerk von Forschern aus verschiedenen Ländern will bis 2030 sogenannte Reaktoren der vierten Generation entwickeln, die beispielsweise fast ausschließlich radioaktive Abfälle selbst recyceln können.

Das kanadisch Terrestrial Energy arbeitet an einem Salzschmelze-Reaktor. Anstelle von festen Brennstäben verwendet der Meiler Uran in Salzform. Es fließt im Kreis und wird durch eine Kettenreaktion gespalten. Die entstehende Wärme wird durch die Salzschmelze transportiert und zur Stromerzeugung genutzt.

Kernenergie ohne Atommüll?

Berliner Wissenschaftler haben auch einen sogenannten „Dual-Fluid-Reaktor“ entwickelt. Sie versprechen sichere Kernenergie ohne extrem langlebige radioaktive Abfälle. Bisher gibt es jedoch keinen Investor für das Milliardenprojekt.

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Das amerikanische Start-up Oklo arbeitet derzeit an einem Minireaktor, der mit recycelten Uranbrennstäben anderer Kernkraftwerke betrieben wird. Ein erster Prototyp mit einer Leistung von 1,5 Megawatt soll in zwei Jahren im Bau sein. Das Kernkraftwerk mit dem Namen Aurora hat die Größe eines Einfamilienhauses und könnte 1000 Haushalte mit Strom versorgen.

Die wachsenden Befürworter der Kernenergie haben einen mächtigen Verbündeten: das Zwischenstaatliche Gremium der Vereinten Nationen für Klimawandel, kurz IPCC. Es ist der Körper, über den sich Klimaaktivisten wundern Schwedisch Die Studentin Greta Thunberg wurde wiederholt ernannt. Vor langer Zeit simulierten die Forscher, wie die globale Erwärmung bis zum Jahr 2100 auf 1,5 Grad begrenzt werden könnte. In ihrem Sonderbericht vom Herbst 2018 kommen sie zu dem Schluss, dass dieses Ziel in den meisten Fällen mit emissionsfreier Kernenergie als Teil des globalen Energiemixes erreicht werden kann.

Ein Zehntel des weltweiten Stroms stammt aus dem Kernkraftwerk

Derzeit sind weltweit 442 Kernkraftwerke in Betrieb. Der jüngste ist in den Vereinigten Arabischen Emiraten und hat erst vor kurzem online begonnen. Weitere 54 sind im Bau. Laut der Kernenergielobbyorganisation WNA produzieren die Reaktoren derzeit etwa 2.500 Terawattstunden Strom, was etwa 10 Prozent der weltweiten Gesamtmenge entspricht.

Der Bau neuer Kernkraftwerke ist manchmal sehr heikel – und teuer. Als der Reaktor gebaut wurde Französisch Flamanville hatte unter anderem Probleme mit den Schweißnähten. Ursprünglich wollte der Betreiber EDF den Ofen 2012 anschließen. Jetzt wird es wahrscheinlich 2023 sein. Gleichzeitig vervierfachten sich die Kosten auf mehr als zwölf Milliarden Euro. Der französische Wirtschaftsminister Bruno Le Maire spricht vom „Scheitern“.

Letztendlich wollen viele Befürworter der Kernenergie nichts über neue Reaktoren in diesem Land wissen. Landwirtschaftsminister von Baden-Württemberg Peter Hauk (CDU) schlägt vor, die vorhandenen Reaktoren über das vorherige Enddatum von 2022 hinaus ans Netz zu halten. Der Technologiehistoriker Wendland sagt auch, man sollte vorsichtig sein, „den Menschen kein Glück zu versprechen, wie es die Befürworter erneuerbarer Energien gerne tun, die immer auf ihrer Technologie basieren zu den günstigsten und optimistischsten Szenarien “.

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Bisher hat die Bundesregierung das Thema erfolgreich unterdrückt. Als der energiepolitische Sprecher der Union im Bundestag, Joachim Pfeiffer, kurz vor Weihnachten 2019 über längere Kernkraftwerke stritt, lehnte Regierungssprecher Steffen Seibert sofort die Idee ab: „Der Ausstieg wird wie geplant durchgeführt.“

Der frühere Manager Hambrecht glaubt, dass die nächste Regierung das Problem nicht vermeiden kann. Sie müssen „eine Strategieänderung in der Kernenergie vornehmen“. Brüssel sollte Sie auch „sehr bald“ zu einem EU-Strategiegipfel einladen, um das Energieproblem anzugehen europäisch lösen.

Geben die Grünen einen Teil ihrer DNA auf?

Dies könnte von besonderer Bedeutung sein, wenn die Union und die Grünen ab Herbst 2021 eine Koalition bilden. Sollte haben das Grün wirklich die Macht, einen Teil ihrer politischen DNA aufzugeben – den Kampf gegen die Atomkraft?

Für Annalena Baerbock, Leiterin der Grünen, bleibt der Klimaschutz „das Auslaufen fossiler Brennstoffe – und dazu gehört auch die Kernenergie“. Aber nicht alle Partyfreunde sind so dogmatisch. „Wir haben die Politik mit der Angst vor der Kernenergie so erfolgreich gemacht, dass nicht nur wir, sondern auch die Gesellschaft nicht mehr raus können“, sagte ein Parlamentarier, dessen Name wegen des „enormen sozialen Drucks in der Partei“ nicht gedruckt werden sollte. Und das Bundestags-CDU-Mitglied Andreas Lämmel sagte, Mitglieder der Grünen hätten sich an ihn gewandt, „sie sehen, wie der Fall gegen die Wand stößt“.

Dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) ist daher klar, dass nicht alle „Rückwege“ mit Kernenergie gesperrt werden können. Selbst in zehn oder zwanzig Jahren sollte diese Frage „erneut anzeigbar“ sein. Die Kernenergieforschung in Deutschland muss daher auf jeden Fall fortgesetzt werden.

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