Zwischen europäischer Unterstützung und innerer Unordnung: Warum das Energiesystem der Ukraine von innen heraus schwächelt?

Einer der verletzlichsten Sektoren der ukrainischen Wirtschaft und Infrastruktur während des groß angelegten Krieges ist der Energiesektor. Genau dieser Bereich wird von uns und anderen europäischen Ländern – einschließlich der EU-Fonds – kontinuierlich unterstützt.

Doch manchmal muss man der Wahrheit ins Gesicht blicken: Könnte die Ukraine sich selbst auf die gleiche Weise in Bezug auf Energieeffizienz und Energiesicherheit helfen?  Denn der Staat – ein Opfer der Aggression – bittet zwar um Unterstützung, erweist sich jedoch oft als unfähig, selbst die vorhandenen Ressourcen wirksam zu nutzen.

Ein Teil der nationalen Sicherheit

Die Gewährleistung eines stabilen Betriebs von Energieunternehmen in der Ukraine war immer nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine sicherheitsrelevante Frage. Denn es geht nicht nur um die Erzeugung von Wärme oder Strom, sondern um den Schutz der kritischen Infrastruktur, auf der das Funktionieren des Landes beruht.

In der ukrainischen Gesetzgebung ist eindeutig festgelegt: Energiesicherheit ist ein integraler Bestandteil der nationalen Sicherheit. Und jede Zerstörung, Beschädigung oder Stilllegung von Energieanlagen – selbst durch Fahrlässigkeit – stellt eine potenzielle Bedrohung für weite Teile der Bevölkerung und die staatliche Souveränität insgesamt dar.

Und natürlich ist sich das Russland von Wladimir Putin dieses Faktors sehr wohl bewusst. Deshalb wurden Energieanlagen zu einem der Hauptziele massiver Raketenangriffe, Drohnenattacken und Cyberangriffe. Nach Angaben des ukrainischen Energieministers Herman Haluschtschenko wurden zwischen Oktober 2022 und September 2024 insgesamt 1024 russische Angriffe auf Objekte der ukrainischen Energieinfrastruktur verzeichnet.

Und obwohl jeder dieser Angriffe in den Nachrichtenmeldungen nur kurz erwähnt wird, lässt sich das Ausmaß ihrer Folgen kaum überschätzen. Sowohl Unternehmen als auch die ukrainische Bevölkerung im Land – und sogar europäische Länder, die früher Strom aus der Ukraine bezogen – spürten die Auswirkungen geplanter und ungeplanter Stromabschaltungen.

Laut dem ukrainischen Energieministerium wurden innerhalb von drei Jahren seit Beginn der groß angelegten Invasion über 63.000 Energieinfrastruktur-Objekte beschädigt oder zerstört.

Dabei handelt es sich sowohl um große Energieerzeugungsanlagen (wie Wärmekraftwerke, Wasserkraftwerke, Heizkraftwerke) als auch um Teile des Verteilungsnetzes und kritische Hilfsinfrastruktur.

Laut Weltbank belaufen sich die langfristigen Wiederherstellungs- und Wiederaufbaukosten des Energiesektors und der Bergbauindustrie der Ukraine auf mehr als 62 Milliarden Euro.

Heute müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass dies nicht nur die Sicherheit der Ukraine betrifft. In gewissem Maße ist es auch die Sicherheit des gesamten Kontinents.

Tatsächlich ist uns das bewusst – auch wenn wir nicht offen darüber sprechen. Doch die Zahlen sprechen für sich.

Schauen wir uns also an, wie viel es Europa kostet, mit den Folgen der Zerstörung des Energiesystems in der Ukraine klarzukommen.

Umfang der internationalen Unterstützung im Bereich der Energiesicherheit der Ukraine

Zunächst ist zu erwähnen, dass das Sekretariat der Energiegemeinschaft Ende letzten Jahres mitteilte, dass der Ukraine Energy Support Fund (UESF) einen wichtigen Meilenstein erreicht habe – die Verpflichtungen der Geber überstiegen 1 Milliarde Euro.

Der erste Beitrag zum Fonds in Höhe von 535.000 Euro wurde 2022 von Dänemark geleistet, als der Fonds gegründet wurde.

Derzeit größter Geber ist Deutschland mit 390,5 Mio. Euro, gefolgt von der Europäischen Union (159 Mio.) und Schweden (139,4 Mio.).

Es wurde zudem berichtet, dass 56 ukrainische Begünstigte 644 Verträge auf Basis von 188 Unterstützungsanträgen abgeschlossen haben, die vom ukrainischen Energieministerium genehmigt wurden.

Im Rahmen dieser Verträge leistete der Fonds 1133 Zahlungen.

Über den Fonds erworbene Ausrüstung wurde an 21 Regionen der Ukraine geliefert. 

Ein gesonderter Teil der Hilfe stammt von der Europäischen Investitionsbank (EIB). Im Oktober 2024 stellte die EIB 86 Millionen Euro zur Verfügung, um die physische Sicherheit von Energieanlagen zu erhöhen – insbesondere für den Bau von Schutzbauten für Umspannwerke und andere Infrastrukturen.

Erhebliche Hilfe kam auch von der deutschen Regierung: Über 15.000 Einheiten an Energieausrüstung, darunter mobile Kraftwerke, Verteilungsanlagen, Transformatoren und Kabel, wurden im Rahmen des Deutsch-Ukrainischen Energiepartnerschaftsprogramms an die Ukraine geliefert. Dank dieser Unterstützung konnte die Stromversorgung für über eine Million Verbraucher wiederhergestellt werden.

Die ukrainische Wirtschaftsministerin Yulia Svyrydenko kündigte ein Hilfspaket der Vereinigten Staaten in Höhe von 800 Millionen Dollar für wichtige Ausrüstungen an, die für die dringende Reparatur der Energieinfrastruktur benötigt werden. Auch andere europäische Länder leisteten Unterstützung.

Zu den jüngsten bekannten Fällen zählt ein Zuschuss der französischen Regierung in Höhe von 11 Mio. Euro an das ukrainische Unternehmen DTEK für den Bau der ersten digitalen Umspannstation der Ukraine.

Die italienische Regierung hat im Rahmen einer gemeinsamen Initiative mit der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) die erste Tranche von 100 Mio. EUR für den Wiederaufbau der Energieinfrastruktur der Ukraine bereitgestellt.

Insgesamt ist der Umfang der internationalen Unterstützung enorm.

Die Ukraine erhält nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch Technologien, Logistik und Fachwissen.

All diese Ressourcen sollten zusammen mit den inländischen Bemühungen dafür sorgen, dass das Land angesichts der neuen Herausforderungen im Energiebereich widerstandsfähig ist.

Konkrete Beispiele der Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und internationalen Fonds im Bereich Energiesicherheit

Schauen wir uns nun nicht nur die allgemeinen Zahlen an, die zwar durch ihre vielen Nullen beeindrucken, sondern auch ganz konkrete Beispiele für den Einsatz dieser Hilfen und die Effizienz der ukrainischen Regierung bei der Verwendung sowohl externer als auch eigener Ressourcen. Und genau das wird an konkreten Beispielen besonders deutlich.

So planten bereits Anfang letzten Jahres das Ministerium für Gemeinde-, Regional- und Infrastrukturentwicklung der Ukraine sowie USAID im Rahmen des Projekts „Energiesicherheit der Ukraine“ die Anschaffung von 91 Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen für 32 ukrainische Städte und zwei Universitäten.  Ziel des Projekts war die Modernisierung der kommunalen Energieinfrastruktur, die Einführung moderner branchenspezifischer Technologien, die Stärkung der Resilienz der Energienetze, die Förderung der dezentralen Energieerzeugung und die Unterstützung von Reformen im Energiesektor.

„Dezentrale Erzeugung, einschließlich Kraft-Wärme-Kopplung und alternativer Brennstoffe, ist ein Weg, die kontinuierliche Versorgung der Heizwerke von Fernwärmeunternehmen sicherzustellen – auch bei Stromausfällen. „Dieser Ansatz erlaubt zudem den isolierten Betrieb (Energieinsel) und stellt eine lebenswichtige Energiequelle für kritische Infrastrukturen wie Wasserversorgung, Abwasser und Krankenhäuser dar“, erklärten die ukrainischen Behörden seinerzeit.

Gerade dieses Beispiel zeigt das Bestreben der ukrainischen Regierung, gemeinsam mit internationalen Partnern nach den effektivsten Lösungen für Energieprobleme zu suchen. Außerdem unterzeichnete Präsident Wolodymyr Selenskyj Ende 2023 ein Gesetz zur Entwicklung der hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplung in der Ukraine.

Die Änderungen am Gesetz „Über die kombinierte Erzeugung von Wärme und Strom (Kraft-Wärme-Kopplung) und die Nutzung vom Abwärmepotenzial zielen darauf ab, Bedingungen für eine hocheffiziente kombinierte Energieerzeugung zu schaffen und gleichzeitig die Anforderungen der EU-Richtlinie 2012/27/EU zur Energieeffizienz umzusetzen.

Wie wichtig solche Maßnahmen sind, zeigt auch die Tatsache, dass hocheffiziente Kraft-Wärme-Kopplung in der EU bereits 12 % der Stromproduktion und 16 % der Wärmeerzeugung für Haushalte, Industrie und Fernwärmeversorgung abdeckt.

Laut dem Verband COGEN Europe führt das zu einer Energieeinsparung von etwa 30 Mrd. Kubikmetern pro Jahr, davon entfallen 15 Mrd. m³ direkt auf eingespartes Erdgas.

Solche Maßnahmen sind notwendig – kosten aber internationale Partner hunderte Millionen Dollar. Genaue Zahlen werden nicht veröffentlicht, doch bei der Ukraine-Wiederaufbaukonferenz im Juni 2024 in Berlin kündigten die USA Unterstützung in Höhe von 824 Mio. US-Dollar für die energetische Infrastruktur an – darunter möglicherweise auch Mittel für Kraft-Wärme-Kopplungsprojekte.

Ein interner Audit von USAID bestätigt ebenfalls ähnliche Beträge an Hilfe.

Gleichzeitig erklärte Premierminister Denys Schmyhal, dass im Ukraine Energy Support Fund bereits 560 Mio. Euro angesammelt wurden.

Aus diesem Fonds wurde laut seiner Aussage die Beschaffung von Ausrüstung für dezentrale Stromerzeugung mit einer Gesamtleistung von 170 MW finanziert.

Deshalb gibt USAID Hunderte von Millionen Dollar aus, um sicherzustellen, dass die Ukraine unter den extrem schwierigen Kriegsbedingungen nicht nur den Mindestbedarf an Wärme und Stromerzeugung decken, sondern sich auch schrittweise den europäischen Energieeffizienzstandards anpassen kann. 

Wie ineffiziente Ressourcennutzung in der Ukraine zu unbegründeten Ausgaben internationaler Gelder führt

Es stellt sich heraus, dass das Thema Kraft-Wärme-Kopplung in der Ukraine gar nicht so neu ist. Bereits seit Jahrzehnten wurde Strom und Wärme in KWK-Anlagen erzeugt. Vor dem Beginn des Krieges 2014 existierten in der Ukraine 46 Heizkraftwerke, die genau nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung arbeiteten – mit einer Gesamtleistung von 6,1 GW.

Einige davon sind weiterhin in Betrieb, andere wurden durch russische Angriffe beschädigt oder befinden sich in besetzten Gebieten. Das sind verlorene Potenziale. Es gibt jedoch auch Anlagen, die funktionieren könnten, einen Teil des ukrainischen Bedarfs decken und das Geld der europäischen und amerikanischen Steuerzahler sparen würden, dies aber nicht tun.

So stießen Journalisten vor kurzem auf zwei Heizkraftwerke in den westukrainischen Städten Nowojavoriwsk und Nowyi Rozdil. Diese Anlagen, die sich Hunderte von Kilometern von der Frontlinie entfernt befinden, wurden nicht direkt beschossen und könnten daher eine zuverlässige Grundlage für die Wärmeversorgung von Zehntausenden von Einwohnern und die Stromerzeugung bilden. 

Doch bereits lange vor der Invasion wurden diese Objekte im Rahmen eines Strafverfahrens beschlagnahmt.

Unternehmen im Einflussbereich des oppositionellen Abgeordneten Jaroslaw Dubnewytsch wurden enteignet, die Anlagen an die staatliche Agentur ARMA (Nationale Agentur für Verwaltung beschlagnahmter Vermögenswerte) übergeben – mit allen Risiken, die mit einer längeren Einmischung in den Betrieb eines funktionierenden Unternehmens verbunden sind.

2018 eröffnete das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) ein Verfahren wegen angeblich unrechtmäßiger Nutzung von subventioniertem Gas. Die Heizwerke wurden als Beweismittel beschlagnahmt.

Laut ukrainischem Recht müssen solche Vermögenswerte an ARMA übergeben werden. Dabei handelt es sich um eine spezialisierte Einrichtung, die für die wirksame Aufbewahrung und Verwaltung von Vermögenswerten zuständig ist, die im Rahmen von Korruptionsbekämpfungs- oder Wirtschaftsermittlungen beschlagnahmt wurden. Interessanterweise wurde auch die Einrichtung der ARMA selbst teilweise von internationalen Partnern finanziert, da ihre Gründung ein Versuch war, die ukrainische Rechtspraxis an die europäischen Anforderungen anzupassen

Doch dann begannen die Probleme:

Zunächst setzte ARMA ein privates Unternehmen als Betreiber ein, das nicht in der Lage war, die Anlagen für die Heizsaison vorzubereiten.

Die Regierung griff ein und übertrug die Anlagen der Naftogaz-Tochter „Naftogaz Teplo“.

Formal sah dies wie eine Lösung für das Problem aus, doch in Wirklichkeit entstand ein Interessenkonflikt: Naftogaz trat in dem Fall gleichzeitig als Kläger auf und wurde zum Verwalter der im selben Verfahren beschlagnahmten Vermögenswerte.

Die Ergebnisse dieses Managements waren katastrophal. Offiziellen Berichten zufolge haben beide KKW in den letzten vier Jahren Verluste erwirtschaftet. Der Gesamtnettoverlust betrug über 550 Mio. UAH (über 13 Mio. €).  Gleichzeitig flossen dem Staatshaushalt keine oder nur geringe Einnahmen zu. Trotz der erklärten Effizienz kam der Manager nicht einmal den grundlegenden Verpflichtungen aus dem Vertrag nach: In den Berichten des Rechnungshofs der Ukraine heißt es, dass die Gewinne, die teilweise an den Staat hätten abgeführt werden müssen, nicht eingegangen sind und die Vermögenswerte nicht ordnungsgemäß verbucht wurden.

So sind die Wärmekraftwerke in den westlichen Regionen der Ukraine, die formal noch in Betrieb sind, in den letzten Jahren unrentabel und zahlungsunfähig geworden und haben sich praktisch vom Markt zurückgezogen. Das Hauptproblem sind dabei nicht technische Probleme oder fehlende Ressourcen, sondern das Managementmodell, das ungeachtet der Feindseligkeiten funktioniert, aber systematisch versagt. Untersdessen geben die internationalen Partner weiterhin Steuergelder aus, um die unprofessionellen Handlungen der ukrainischen Staatsmanager zu befriedigen, die, wie zahlreiche Prüfungen und Akten belegen, nicht einmal mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zurechtkommen. 

Der Rechnungshof, der Staatliche Rechnungsprüfungsdienst, der Sicherheitsdienst der Ukraine, die Nationale Polizei – sie alle registrierten Verstöße und Vermögensschädigungen aufgrund von inkompetentem Management, aber die Täter entzogen sich (und entziehen sich immer noch) der öffentlichen Verantwortung.

Im Jahr 2024 wies das Oberste Anti-Korruptionsgericht der Ukraine die Anti-Korruptionsbehörden an, die Handlungen der ARMA-Führung bei der Verwaltung dieser Heizkraftwerke in der Region Lviv zu überprüfen. Dabei geht es nicht nur um wirtschaftliche Verluste, sondern auch um möglichen Machtmissbrauch, der zum Niedergang strategisch wichtiger Anlagen geführt hat. Leider hat sich die Situation nicht weiterentwickelt. Soweit wir wissen, sind die Gerichtsverfahren noch nicht abgeschlossen. In der Zwischenzeit sprechen die ukrainischen Behörden auf internationalen Foren weiterhin von Hunderten von Millionen Euro an angesammelter Hilfe. Die potenziellen Kapazitäten sind jedoch bereits verloren gegangen, und es ist praktisch unmöglich, diese Ressourcen wiederherzustellen, die den Bedarf des Inlandsverbrauchs in Kriegszeiten decken könnten.

Der Paradox staatlicher Verwaltung

Bei der Energiesicherheit der Ukraine geht es also nicht nur um die Wiederherstellung der Energieinfrastruktur nach den Angriffen des Aggressors und die Bereitstellung neuer Kapazitäten auf Kosten der europäischen Steuerzahler. Es geht auch darum, wie der Staat seine bestehenden Energieressourcen verwaltet, insbesondere in den Teilen des Landes, wo die Anlagen durch den Krieg nicht zerstört wurden und mit voller Kapazität betrieben werden sollten.

Daraus ergibt sich ein Paradox: Die europäischen Partner der Ukraine tragen dazu bei, die Nachhaltigkeit der Energieversorgung zu bewahren, während sie im Land selbst aufgrund von Managementfehlern verloren geht. Hier geht es nicht mehr um Reformen, sondern um einen Test der Fähigkeit des Staates, in einem kritischen Bereich die Ordnung aufrechtzuerhalten.

Die Frage internationaler Hilfe für die ukrainische Energieinfrastruktur – auch im Interesse der europäischen Nachbarn – verlangt mindestens eine genauere Kontrolle und Prüfung. Idealerweise aber sollten wir als Geber klare Anforderungen an die ukrainische Regierung stellen, das System von innen zu ordnen, bevor wir weiteres Geld für Projekte ausgeben, die auch mit eigenen Mitteln realisierbar wären.

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